„Vom Schrecken der Nacht“
Vor einigen Jahren verbrachte ich acht Tage allein in einer Einsiedelei der „kleinen Brüder“ in der Nähe von Spello (Italien). Als es an meinem ersten Tag Abend wurde, stieg in mir ein seltsames Gefühl auf. Mit zunehmender Dunkelheit überkam mich eine Unruhe und Ängstlichkeit, die ich so nicht kannte. Trotz elektrischem Licht und geschlossener Tür blieb dieses unangenehme Gefühl. Vor dem ins Bett gehen betete ich das Nachtgebet aus dem Stundenbuch. Am Sonntagabend kommt darin der Psalm 91 vor. Als ich den 5. Vers betete, berührten mich diese Worte sehr: „Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten…“ Oft schon hatte ich diesen Psalm gebetet, aber heute traf diese Zusage Gottes direkt meine Lebenssituation. Das Angstgefühl verschwand nicht, aber jetzt hatte ich ein Wort, an dem ich mich „festhalten“ konnte. Als am nächsten Abend das unangenehme Gefühl bei zunehmender Dunkelheit wieder aufstieg, betet ich wieder diesen Psalm. Er ist für mich zu einem geistlichen „Geländer“ geworden, das mir Halt gibt: „Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten.“
Text und Bild: Wolfgang Kretschmer, Kolping-Diözesanpräses